Jahresanbruch in romantischer Dämmerung | Dresdner Orgelzyklus in der Kreuzkirche | 14.02.2024
25. Februar 2024
Dresdner Orgelzyklus in der Kreuzkirche: „Für das erste diesjährige Konzert in der Kreuzkirche hatte Kreuzorganist Holger Gehring am Mittwoch »Legenden der Romantik« aufs Programm gesetzt und sich gleich Unterstützung gesichert: zu einigen Terminen des Dresdner Orgelzyklus‘ gibt es ein künstlerisches »Plus«, meist instrumental, sogar Bilder oder choreographierter Tanz waren schon zu erleben. Diesmal waren es die Dresdner Turmbläser, die sonst vielen der sonnabendlichen Vespern einen Nachklang vom Turm geben und nun einmal drinnen spielen und eine der Legenden mit ausgestalten durften.
Wie immer in der Kreuzkirche gab es zuvor das Gespräch 19:19 Uhr »Unter der Stehlampe«, das sich mittlerweile größter Beliebtheit erfreut – die Heinrich-Schütz-Kapelle kann die Besucherzahl gerade noch fassen. Eine der Legenden (g-Moll) von Gerard Bunk, erfuhren die Besucher, wurde an der Orgel der Johanniskirche Bielefeld uraufgeführt, also in jener Kirche, in der auch Holger Gehring die ersten Orgelversuche unternahm. Trotz der gemeinsamen Lebensstation war es für den Kreuzorganisten das erste Mal, daß er ein Werk von Gerard Bunk spielte.
Dresdner Orgelzyklus in der Kreuzkirche
Die zweite Legende des Komponisten war jenes Werk, an dem sich die Dresdner Turmbläser beteiligten. Im Original ist sie für sogenannte Kuhlo-Hörner (nach dem Erfinder Johannes Kuhlo) geschrieben. Die Instrumente, die ein langes zylindrisches Rohr haben, das sich erst spät in die Mensur öffnet, sind einfach zu spielen, was für die Praxis in der Kantorei wichtig ist. Am Mittwoch hatten sie die Dresdner Turmbläser aber wegen der besseren Durchsetzungsstärke in der großen Kirche durch die heute übliche Besetzung mit Trompeten, Posaunen und Tuba ersetzt, erläuterte Gesprächspartner Sebastian Schöne, der Leiter der Turmbläser, im Gespräch. Weniger Legende als historisch belegt ist ein einstmaliger »Orgelstreit« um das Orgelkonzert am Frühjahrsbustag (Aschermittwoch) in der Kreuzkirche zwischen dem damaligen Kreuzkantor Oskar Wermann und dem amtierenden Kreuzorganist Christian Robert Pfretzschner. Das ist – Gottlob! – lange her …
Ganz ohne Streit, sondern ungewohnt harmonisch offenbarte sich das Konzertprogramm. Die Legenden wurden mit viel Abend- oder Morgenschimmer dem Anspruch der Romantik mehr als gerecht, wobei sich gerade Gerard Bunks Opus 29 (g-Moll) als ausgefeilt und vielschichtig erwies. Es leitete nicht nur die Abendstimmung ein, sondern bereicherte sie auch um eine blühende Ornamentik. Im Vergleich war das den Abend beschließende Opus 55a trotz der Bläserbegleitung weniger einfallsreich, lebte mehr vom Wechsel der Strophen.
Den Legenden lag teilweise ein Gedanke, eine Geschichte oder gar ein Text unter, wie Oskar Lindbergs »Gammal fäbodpsalm från Darlana« nach einem alten schwedischen Hirtenlied. Den volksliedhaften Charakter hatte der Komponist bewahrt, während Franz Liszts Einleitung zum Oratorium »Legende von der Heiligen Elisabeth« viel jener malerischen und poetischen Schilderungen zeigte, die man aus den Sinfonischen Dichtungen kennt. Die Rosen, die bei Elisabeth das in einem Korb versteckte Brot verdeckten (Rosenwunder), konnte man geradezu blühen hören. Für Orgelfreunde von Gewinn war vielleicht, daß die Orgelbearbeitung vom Organisten Friedrich Wilhelm Markull stammte – manchen Puristen sind Liszts eigene Orgelwerke zu pianistisch.
Auch Eugène Gigouts En forme de légende (aus den Deux pièces pour orgue) begann, wie viele Stücke des Abends, schimmernd, zeigte die Romantik aber in der Farbigkeit des französischen Stils, bevor Holger Gehring mit Fritz Lubrich juniors »In der Abendstille« ein Stimmungsbild quasi konkret werden ließ – das Werk ist um die Melodie des Liedes »Der Mond ist aufgegangen« angelegt. Die Legende f-Moll für Orgel und Bläserquartett von Gerard Bunk durfte den Abend schließlich am leuchtkräftigsten strahlen lassen.“
15. Februar 2024, Wolfram Quellmalz, NMB, „Jahresanbruch in romantischer Dämmerung“