„Ich bin froh, daß Du das geübt hast“ | Benedikt Bonelli im Dresdner Orgelzyklus | 6.11.2024
13. November 2024
Dresdner Orgelzyklus am 6. November 2024: „Vor dem Orgelkonzert in der Kreuzkirche lädt Kreuzorganist Holger Gehring seine Gäste zum »Gespräch unter der Stehlampe« – für das Publikum gerne verbunden mit einem Glas Orgelwein. Am Mittwoch stand ihm Benedikt Bonelli von der Basilika St. Lorenz Kempten Rede und Antwort, der sich mit dem Gastgeber zunächst darüber austauschte, daß die Kemptener zwar Allgäuer und Bayern seien, aber trotzdem Schwaben (Regierungsbezirk). Daher gebe es in Gasthäusern dort Schweinsbraten UND Maultaschen auf der Karte. Abgesehen davon seien sie genauso »gewaltig stur« wie die Westfalen aus Benedikt Bonellis Heimat Coesfeld.
Interessant in bezug auf seine Arbeitsstätte ist nicht nur der kostbare Stuckmarmor der Basilika St. Lorenz, sondern natürlich die drei Orgeln, deren eine sogar vierzehn Tasten innerhalb der Oktave hat statt zwölf – wegen der mitteltönigen Stimmung und der harmonische Reinheit haben die Halbtöne es und dis jeweils eine eigene Taste und Pfeife, wie auch gis und as (bei wohltemperierter Stimmung wären beide Halbtöne gleich).
Benedikt Bonelli im Dresdner Orgelzyklus
Während das Entdecken der ehemaligen Benediktinerstiftskirche nur vor Ort geschehen kann, hatte Benedikt Bonelli mindestens zwei, wenn nicht drei Entdeckungen in Noten dabei. Wohlgemerkt standen – schon das ungewöhnlich – nur drei Werke auf seinem Programm. Zwei von ihnen, Max Gulbins‘ Sonate Nr. 3 für Orgel Opus 19 sowie Franz Schmidts Chaconne in cis, waren der Romantik zuzuordnen, während Arvo Pärts Annum per annum in unsere Zeit gehört.
Der Organist und Kantor Max Gulbins kommt selbst in Orgelkonzerten selten vor. Seine Sonate schrieb er in der Nachfolge Mendelssohns, Benedikt Bonelli zeichnete aber deutlich das Modernere heraus. Schon zu Beginn sorgten mächtige, majestätische Akkorde im Wechsel mit sanft schimmernden Pianopassagen für einen großen, spannungsvollen Gegensatz. Bald löste eine frohgemute, aufwärts gerichtete Fuge dies auf, die sehr leisen, schimmernden, choralähnlichen Teile blieben aber erhalten. Ein doppeltes Allegro, zuerst festlich, dann moderat, wobei Benedikt Bonelli dynamische Grenzen suchte, schloß die eindrucksvolle Sonate, nicht ohne vorher in einen Teil Festmarsch und noch einmal eine klassische Fuge überzugehen. Und doch sollte ihn Franz Schmidt noch übertreffen.
Zunächst aber erklang Annum per annum (Jahr für Jahr) von Arvo Pärt. Der Este hatte das Werk zur 900jährigen Jubiläum des Speyrer Doms geschrieben und überraschte hier mit einer fast wilden, expressiven Einleitung! In den folgenden Variationen zeigte sich der typische Stil von Pärt, mit dem Thema in warmen Registern, dann von filigranem Zierwerk umspielt, rhythmisch gepulst und schließlich mit wechselnden Melodie- und Obertöne – das klang auch am ehesten nach Minimal music. Gedämpft und gleitend, mit einem plötzlich scheinenden Ende, fand Benedikt Bonelli den Abschluß.
Vergleichbar kurz war auch der Nachklang von Franz Schmidts Chaconne in cis. Wie hatte Holger Gehring im Gespräch zu seinem Gast gesagt? »Ich bin froh, daß Du das geübt hast, dann muß ich es nicht spielen«. Denn Schmidts Werk ist spielerisch gesehen geradezu ein Ungetüm. Holger Gehring hatte sich lieber Max Reger zugewandt, Benedikt Bonelli jedoch fand Gefallen an dem österreichischen Spätromantiker, den wir am ehesten durch seine Oper »Notre Dame« (zumindest das Zwischenspiel daraus) oder das Oratorium »Das Buch mit den sieben Siegeln« kennen. Wie so oft lohnt es, diesen Kanon zu erweitern. In seiner Chaconne ging Franz Schmidt weit über das hinaus, was wir aus dem Barock kennen. Statt innerhalb fester rhythmischer Strukturen zu variieren und zu steigern, legt Schmidt gerade die Strukturen offen, fügt verschiedene Ebenen ein, setzt die Stimmung zum Beispiel auch einmal über das ostinate Motiv, so daß es fast verschwindet.
Benedikt Bonelli begann das fast halbstündige Werk mit seinem frohen Hell-dunkel-Thema bereits farbig dämmernd, hob die Melodiösität hervor. Im Verlauf vollzogen sich mehrfach Wandel, wurde typisch romantisches Schweben bestimmend, bevor im Mittelteil eine expressionistische Steigerung überwog. Über den Baß (oder »Ground«) trat aber eine Beruhigung ein bzw. ein Abstieg vom Gipfel, den der Organist ähnlich majestätisch nahm, wie er den Abend mit Gulbins begonnen hatte.“
7. November 2024 | Wolfram Quellmalz | NMB | „Ich bin froh, daß Du das geübt hast“