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Gedenkkonzert – Requiem A | 9. Februar 2025


12. Februar 2025

„Das Gedenkkonzert zum Tag der Zerstörung Dresdens gehört zu den wichtigsten Terminen im Kalender des Kreuzchores. Wie andere Gedenkanlässe um den 13. Februar ist es mit einem Bewahren ebenso verbunden wie mit einem Wandel im Leben derer, die gedenken. Das schließt die Erinnerungs- und Aufführungskultur mit ein. Das diesjährige Konzert in der Kreuzkirche bedeutete am Sonntag mit der Uraufführung des „Requiem A“ von Sven Helbig gleichzeitig eines der wichtigsten Projekte des Chores in den vergangenen Jahren.

Beeindruckt, aber ratlos

Um so schöner, dass er dafür Partner wie die Sächsische Staatskapelle und den ehemalige Kruzianer René Pape gewinnen konnte, darüber hinaus den Fernsehsender arte (die Aufzeichnung ist ab Donnerstag in der Mediathek, Fernsehausstrahlung am 11. Mai). Noch wichtiger: Für den 8. Mai ist auf dem Heldenplatz Wien eine zweite Aufführung geplant (mit den Wiener Symphonikern), im Oktober soll „Requiem A“ in der Kathedrale Coventry mit dem Birmingham Symphony Orchestra und dem Trinity Boys Choir erklingen. Der Kreuzchor und Kreuzkantor Martin Lehmann sind beide Male dabei.

Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 - Requiem A
Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 – Requiem A (c) Oliver Killig

Mancher fragte sich allerdings vorab, ob Sven Helbig, Kunstpreisträger der Stadt Dresden (2022), aber eher mit populärer Musik vertraut, ein klassisches, zumindest teilweise liturgisches Werk schreiben könne. Dass er den Buchstaben „A“ im Grimm’schen Wörterbuch als „edelsten, ursprünglichsten aller Laute“ fand, dass „Atem“ oder „Asche“ damit beginnen, also „A“ für einen Anfang steht – genügt das? Zum „R“ steht übrigens im selben Wörterbuch: „sein Laut ist mit dem eines knurrenden Hundes verglichen“.

Mit einer Uraufführung von Sven Helbig gedachte der Dresdner Kreuzchor der Zerstörung Dresdens vor 80 Jahren.

Helbig hat eine umfassende Komposition geschaffen, die Chor, Solisten, Elektronik, sogar Bilder einschließt (Máni Sigfússon) und eine Antwort nach dem „Warum?“ suchen möchte. Doch ist das möglich? Und vor allem: Ist es notwendig? Helbig fand, die Schuldfrage sei in Rudolf Mauersbergers Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ ausgeklammert geblieben, die Textbehandlung der Klagelieder Jeremiae sei durch die Kreuzkantoren auch danach „einseitig“ geblieben, die Problematik „jahrzehntelang weggedrückt“ worden. Doch besteht der Sinn dieses „Warum?“ nicht gerade darin, der Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen, wie wir es jedes Mal erleben, wenn an Gedenkorten von Katastrophen oder Anschlägen zwischen Blumen und Fotos Zettel mit der schlichten Frage „Warum?“ zu sehen sind?

Gedenkkonzert 2025

Eine Antwort fand Helbig nicht, wollte er sicher auch nicht in der Konsequenz einer Schuldzuweisung. Sein Requiem sorgte für starke Eindrücke, große Klänge, die unbestimmten Übergänge und fehlenden Bezüge machten das Werk aber auch schwer fassbar. In der abgedunkelten Kirche dominierten die auf ein riesiges „A“ projizierten Videos – Lichter, Sonnen, Bäume, Wasser… Viel Symbolik, kleine rätselhafte Figuren, aber in der Gewaltigkeit des Eindrucks ging der Zauber verloren beziehungsweise stand beliebig interpretierbar allgefällig zur Verfügung. Was hat das mit mir, mit uns, mit Dresden zu tun? Was mit dem Gedenkanlass, wo liegt die „Brücke“, die sich spätestens mit der Aufführung in Coventry ergeben sollte? Fehlt dem Werk nicht ein relativierendes Moment, das einen Abstand zwischen Betroffenen und dem Gedenken definiert, Anknüpfungspunkte schafft?

Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 - Requiem A
Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 – Requiem A (c) Oliver Killig

Was gerade der Kreuzchor und die Staatskapelle an Klang boten, war allerdings erstaunlich und überwältigend. Die Artikulation des Chores hervorragend – solange deutsch gesungen wurde, war alles bestens. Folgten jedoch lateinische Texte („Cor, ignosce, surge et vola“ / „Herz, vergib, steig auf und flieg“), wurde es schwierig, denn in der Dunkelheit (noch ein zusätzlicher Moment visuellen Beeindruckens) konnte man sie im Programmheft nicht mitlesen. Auch die beiden Arien für René Pape glückten nicht, was allein an der Technik lag. Seine Stimme ist unverkennbar (und wäre damit ein Identifikationsmerkmal), doch in der elektronisch übermäßigen Verstärkung verhallte sie vollkommen unverständlich, vor allem im ersten der Texte („Meer von Tränen“).

In der Wahrnehmung gebrach es dem Werk vor allem an zwei handwerklichen Schnittstellen: der Dominanz unnötiger Bildabläufe, die sich nicht zwingend auf Musik oder Text bezogen, sich dazu wiederholten und teilweise ruckelten, sowie unklaren Übergängen zwischen „echter“ Musik und elektronisch eingesteuerten Elementen. Martin Lehmann schien teilweise tatenlos zu warten (bis ihm ein Kommando im Ohr den Ablauf freigab).

Wobei neben dem Moment der Aufführung das Projekt als solches verdient, beachtet zu werden, also auch, was es für die Kruzianer bedeutet, an so etwas mitzuwirken. Nicht zuletzt muss man die umwerfend emotionale Wiedergabe von Rudolf Mauersbergers Trauermotette vor dem Requiem dazuzählen, denn in den Proben und der Entstehung hat es mit Sicherheit eine Wechselwirkung zwischen beiden Werken gegeben. Letztlich konnte Helbigs Opulenz, der Wille zu beeindrucken, nicht überzeugen. Dafür berührt – vielleicht als indirekter Effekt – das ohne Antwort gebliebene „Warum?“ von Mauersberger um so mehr.“

Wolfram Quellmalz | DNN Kultur | 11.02.2025 | „Beeindruckt, aber ratlos“


Sven Helbig: Requiem A – Gedenkkonzert aus der Dresdner Kreuzkirche: Video-Mittschnitt in der ZDF-Mediathek >>


Leise atmet die Hoffnung

„Dresden. Der sonnige Sonntag in Dresden begann zu dämmern, als sich Menschen in langen Schlangen durch die Portale der Kreuzkirche schoben. Einige irrten draußen herum, denn es gab keine einzige Karte mehr. Das ist Alltag im Advent, beim Weihnachtsliedersingen des Kreuzchors. Aber bei einem Gedenkkonzert mit Uraufführung?

Zum 80. Jahrestag der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 schrieb Sven Helbig ein abendfüllendes „Requiem A“ für Chor, Orchester, Bass und Elektronik. Es verbindet Auszüge der lateinischen Totenmesse mit neuen, eigenen Texten. „Das ‚A im Titel steht für ‚Anfang und mahnt in poetischen Bildern für Versöhnung und Neubeginn“, heißt es in der Unterzeile. Ein erstes Bild war schon Wochen vorher auf Plakaten sichtbar: Ein springendes Mädchen in weißem Kleid, ganz klein abgebildet vor einer großen schwarzen Fläche. Ein Hoffnungsschimmer.

A wie Aufbruch und Atmen

Das „A“ steht zugleich für „Aufbruch“ oder „Atmen“ – Schlüsselwörter in Helbigs Texten, „die einen Weg aus der Trauer in das Leben suchen“. Damit ließ sich sein „Requiem A“, das auf den „Dies irae“-Zorn verzichtet, in diesem Programm als Pendant zur regelmäßig gesungenen Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ begreifen. Kreuzkantor Rudolf Mauersberger hatte sie 1945 in schockähnlichem Zustand komponiert. Seitdem ist sie Gedenk-Repertoire.

Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 - Requiem A
Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 – Requiem A (c) Oliver Killig

Martin Lehmann deutete die Motette seines Amtsvorgängers als Äußerung des Entsetzens, dann wurde es dunkel in der Kirche. Die Kruzianer nahmen nun Pultleuchten an ihren Mappen in Gebrauch. Glockengeläut ging nahtlos in eine erste elektronische Grundierung über. Die Bläser der Sächsischen Staatskapelle setzten behutsam ein, der Chor intonierte bruchstückhaft „Requiem aeternam“. Eine Qualität des Werks wurde schnell offenbar: Das „A“ wird nicht für Anklage verbraucht. Dieses Requiem durchzieht ein Wohllaut, der nie banal klingt. Die Musik fließt ruhig, sie „atmet“, evoziert vielstimmig starke Bilder, etwa wenn im „Meer der Tränen“ René Papes Sologesang elektronisch angereichert wird, ohne die Größe seiner Bassstimme infrage zu stellen. Über dem Altarraum war bis zur Decke eine Leinwand in den Umrissen eines „A“ gespannt. Die projizierten Bilder des Isländers Máni Sigfússon kommentierten und verstärkten. Sonnenlicht und sprießendes Grün dominierten.

Sven Helbigs „Requiem A“ erlebte in der Dresdner Kreuzkirche seine bewegende
Uraufführung.

Am Ende steht ein leises „Atem“ statt eines lautstarken „Amen“. Während letzte Glockenschläge in der Stille versanken, knipsten die Chorsänger nach und nach ihre Pultleuchten aus. Noch dieser Moment barg Menschliches. Der Nachklang eines Requiems, das stark bewegte, berührte und beruhigte. Sekunden fast totaler Ruhe folgten. Die Tradition will es, dass auf Applaus verzichtet wird, doch manche im Publikum hielten das Schweigen nicht aus. Man mag es ihnen nicht verübeln.

Eine mit über 3.000 Plätzen besetzte Kreuzkirche lässt sich als Zeichen der Hoffnung deuten, Vernunft, Zusammenhalt und Toleranz könnten Krisen überwinden. Und als Zeichen für den Bedarf an Kultur, die solche Werte betont und die nicht in Traditionen verharrt.

Das Konzert wurde von Arte aufgezeichnet und wird am 8. Mai im linearen TV ausgestrahlt.“

Karsten Blüthgen | SZ Feuiletton | „Leise atmet die Hoffnung“

Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 - Requiem A
Gedenkkonzert des Dresdner Kreuzchores 2025 – Requiem A (c) Oliver Killig