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„Ruhe und Kraft – Matthäus Passion beim Dresdner Kreuzchor“ – 2024


30. März 2024

Matthäus Passion mit dem Dresdner Kreuzchor 2024: „Welch eine Kraft und Zuversicht kann aus meditativem Innehalten, aus Ruhe erwachsen. Davon konnte nicht nur der Hörer zu Bachs Zeiten zehren, sondern auch der heutige, oft nicht auf einem christlichen Grund stehende. Man muss sich darauf einlassen. Der Gewinn ist für eine lange Lebensphase riesengroß. Die Matthäus-Passion und hier besonders die Choräle bieten dazu die beste Gelegenheit.

Kreuzkantor Martin Lehmann nahm die Choräle wörtlich, gestaltete sie genauestens kalkuliert, immer von ihrer Botschaft her kommend, jeder für sich ein Meisterwerk. Fest auf dem Boden von Zuversicht in Gott kam „Was mein Gott will, das g’scheh allzeit“ herüber, Empörung macht sich in „Wer hat dich so geschlagen“ Luft (wunderbar der Kontrast zum unmittelbar vorher stehenden, bösartigen „Weissage uns Christe“, nachvollziehbar differenziert die zwei Strophen „O Haupt voll Blut und Wunden“). Um die ganze Dimension, auch die emotionale, des Sterbechorals „Wenn ich einmal soll scheiden“ erfassen zu können, muss man die sehr zurückhaltende, feinsinnige Interpretation durch den Dresdner Kreuzchor erleben.

Matthäus Passion 2024

Natürlich setzte der Kreuzkantor auch diesmal wieder darauf, die doppelchörige Anlage der Passion in den Vordergrund zu stellen, in Chor und Orchester. Das machte es dem Publikum leichter, deren geniale Konstruktion nachzuvollziehen. Der Dresdner Kreuzchor brillierte vor allem mit einem flexiblen, absolut homogenen Klangbild und Ausdrucksstärke ganz nach Lehmanns Intentionen. Da gab es nicht das Geringste zu deuteln. Erneut konnte man es sich ungestraft leisten, die kleinen Rezitative (mit Ausnahme des Pontius Pilatus) aus dem Chor heraus zu besetzen, noch dazu unterschiedlich in beiden Aufführungen. Die Eventualität eines Qualitätsabfalls stellte sich hier erst gar nicht.

Lehmanns Tempi waren angemessen flüssig, was – und das ist eine seine besonderen Qualitäten – Emphase nicht ausschloß. Eindringlich, sorgfältig differenziert und auf den Punkt gebracht erklangen die Turbae. Wie ein Peitschenhieb sauste der „Barrabam“-Schrei hernieder, wie ein Gewitter „Sind Blitze, sind Donner“ (welche Präzision). Bei Lehmann sind die aufgewühlten Massenszenen kein dramatischer Einheitsbrei, sondern haben das Geheul, die Wut, eben der Mob ganz verschiedene Gesichter.

Die Dresdner Philharmonie fühlte sich hörbar wohl und sicher unter Lehmanns Dirigat, feinfühlig und aufmerksam an allen Pulten. Die obligaten Instrumente erwiesen sich samt und sonders als ein einziger Genuss (so die Oboistin Undine Röhner-Stolle oder das wunderbar biegsame Violinsolo Wolfgang Hentrichs in der Altarie „Erbarme dich“). Die sensiblen Akzente der Continuo-Gruppen mochte man nicht missen.

Bleibt das Solistenquintett. Als Tobias Berndt mit seiner kernigen Stimme und der nötigen Intensität die erste Bass-Arie „Gerne will ich mich bequemen“ ansetzte, ging es auf diesem Gebiet richtig los. Und das blieb auch so, inklusive der faszinierenden Pilatus-Rezitative. Der junge Altus Jonathan Mayenschein gewann sehr schnell an Sicherheit und überzeugte mit Individualität und stimmlicher Schönheit. Souverän ging Marie-Sophie Pollak mit den Sopranarien um, manchmal zu geradeaus singend und zu fest in der Stimme. Benedikt Kristjánssons Evangelist war sicher eine Frage des persönlichen Geschmacks, sowohl was Stimmfarbe als auch Gestaltungsansatz betrifft. Mir suchte er allzu oft sein Heil im Pathos. Klaus Hägers Christus hatte zweifellos Würde. Was hier fehlte, war eine spür- und hörbare innere Anteilnahme.“

Mareile Hanns | 30.03.2024 | DNN Kultur | „Ruhe und Kraft“

Matthäus-Passion, Dresdner Kreuzchor