
„Vergangenheit und Zukunft“ | Dresdner Kreuzchor | Vesper am 31. Mai 2025
4. Juni 2025
„Der Termin ist an sich in jedem Jahr fest eingetragen: die Alumni des Dresdner Kreuzchores treffen sich regelmäßig und haben mindestens einen Tag bzw. ein Wochenende im Jahr, das sie gemeinsam begehen. »Einmal Kruzianer – immer Kruzianer« heißt es bei ihnen und es stellt einen Wert dar. Am Sonnabend konnte man das besonders lebendig erleben, denn die Kreuzvesper vor dem Sonntag Exaudi gestaltete der Kreuzchor mit dem Chor der Alumni gemeinsam. Und nicht nur das – auch die Leitung reichte über Generationen.
Dresdner Kreuzchor feierte Vesper mit Alumni und vergab Rudolf-Mauersberger-Stipendium
So durfte Roderich Kreile als Kreuzkantor i. R. und Amtsvorgänger von Martin Lehmann die Vesper mit einer Uraufführung beginnen. Der aktuelle Komponist des Kreuzchores, Jan Arvid Prée, der die neuen Introitus, die im Kirchenjahr der Sonn- und Feiertage noch nicht besetzt sind, beisteuert, hatte Worte aus dem 27. Psalm vertont, die diesmal ganz besonders eindrücklich ausfielen, da der Alumni-Chor das »Halleluja« nicht nur kraftvoll, sondern verblüffend sicher und stark ins Kirchenschiff jubelte.
Der Kontrast der an diesem Tag verstärkten Männerstimmen und der Knaben, des großen und des kleinen Teilchores fiel ganz besonders aus – man kann gespannt sein und sich freuen, wie das Klangerlebnis sein wird, wenn in einem der kommenden Jahre der Kreuzchor den Introitus für Exaudi allein gestaltet. Doch nicht nur die sängerische Kraft beeindruckte, sondern die intonatorisch exakte Geschlossenheit und die Klangfarbe.

Nach der Begrüßung durch Pfarrer Holger Milkau setzte Roderich Kreile sein Gastdirigat zunächst mit Giovanni Gabrielis »Exaudi Deus orationem meam« (aus den Sacrae Symphoniae I) fort. Die Motette, nun vom Basso continuo (Dresden Consort) begleitet, berührte eher innerlich, bevor Felix Mendelssohns »Jauchzet dem Herrn alle Welt«, nun im Dirigat von Martin Lehmann, geradezu hymnisch jubelte.
Danach kam es zum vielleicht wichtigsten Akt der Vesper, der Preisverleihung bzw. Vergabe des Rudolf-Mauersberger-Stipendiums. Bereits zum 33. Mal wurde die vom ehemaligen Kruzianer und Medizinprofessor Dieter Klaus ins Leben gerufene und mit 5000 Euro dotierte Ehrung vorgenommen. Lange Jahre, noch bis ins hohe Alter, war Dieter Klaus zur Preisverleihung aus Stuttgart angereist. Am 2. März dieses Jahres war er, 98jährig, verstorben.

Prof. Dr. Reinhold Uhlig hielt die Laudatio und übergab den Preis schließlich an Ludwig Haenchen. Er gehört seit 2017 zum Kreuzchor und hat damit zwei Kreuzkantoren erlebt: Roderich Kreile und Martin Lehmann. Reinhold Uhlig lobte die große Reife und Bescheidenheit von Ludwig Haenchen, der neben dem Singen und Dirigieren auch eine Passion für die Orgel pflegt und im kommenden Jahr das Amt des Ersten Chorpräfekten übernehmen soll.
Kostproben seines Könnens lieferte Ludwig Haenchen sogleich ab, zunächst als Dirigent mit einer »Motette in eigener Sache«, »Schola crucis« von Rudolf Mauersberger, später spielte er an der großen Jehmlich-Orgel Marcel Duprés Toccata, die er regelrecht »rocken« ließ. Martin Schmeding, einer seiner Lehrer, dürfte zufrieden gewesen sein, präsentierte das Stück doch Strukturen und Farben ebenso wie liedhafte Elemente.

Zuvor erklang aber noch Chormusik, zunächst ein zwar knappes »Alleluia« von Jake Runestad, das aber als moderner Glückwunsch, ja, Jubelruf, als Gruß des Kreuzchores an den Stipendiaten zu verstehen war.
Doch »Einmal Kruzianer – immer Kruzianer« schließt viel mehr ein, mehr als Alumni und Elternchor (die am Sonntag den Gottesdienst gestalteten und bei Mitsingkonzert mitwirkten). So ist der Kreuzchor nicht nur ein wesentlicher musikalischer Gestalter der Musica sacra in der Kreuzkirche, für Vespern und Gottesdienste; er ist zudem ein Botschafter für das Haus und die Stadt Dresden. Das findet natürlich Interesse, nicht nur bei der Gemeinde, sondern auch in öffentlichen Institutionen.
Die Stiftung Kunst und Musik für Dresden hat daher bereits das zweite Werk in diesem Jahr (nach Sven Helbigs Requiem A) unterstützt, denn es gab noch eine weitere Uraufführung an diesem Abend: Torsten Raschs »Crux Duplex«, ein Auftragswerk des Dresdner Kreuzchores für vierstimmigen gemischten Chor und vierstimmigen Männerchor.

Allerdings war das Stück deutlich weniger zugänglich als der Introitus zu Beginn, der die Gemeinde direkt ansprach. Nicht nur mit Intonationssprüngen ist »Crux Duplex« wohl eher einem ausgewählten Kreis erfahrbar und erfordert minutiöse Proben. Immerhin war Torsten Rasch selbst Kruzianer, sollte also wissen, was der Kreuzchor kann und braucht. Trotzdem blieb dem normalen Hörer manches verschlossen.
Prof. Dr. Michael von Brück als (»ehemaliger«) Kruzianer nutzte seinen Gastbeitrag im Wort zum Sonntag dazu, manches von »Crux Duplex« zu entschlüsseln, etwa die darin eingebettet Liedanfänge, darunter »Ännchen von Tharau« – es sind Volkslieder, die der Kreuzchor bzw. der Männerchor des Kreuzchores nach seinen Auftritten im internen Kreis singt. So schien es letztlich ein wenig, als habe Torsten Rasch ein Stück für den internen Gebrauch geschrieben.
Da fiel De profundis von Arvo Pärt deutlich offener aus, zugänglicher und mittlerweile auch typischer. Denn die Werke des Esten haben beim Kreuzchor seit einigen Jahren nicht nur einen großen Stellenwert, sie werden zudem in ausgezeichneter Qualität geboten, wie erst kürzlich (in Verbindung mit dem Mozart-Requiem) im direkten Vergleich mit einem baltischen Chor festzustellen war.
Wie sich Pärts Werk – nun wieder mit Beteiligung der Männerstimmen der Alumni – aus der Tiefe der Intonation erhob, über Terrassen in Schwebung kam – wen berührte das nicht? Gesteigert wurde der Eindruck noch, weil die Chöre – Roderich Kreile hatte das Dirigat wieder von Martin Lehmann übernommen – nun auf der Orgelempore standen. Mit dem Schlagwerk bzw. den von Pärt komponierten Glockentönen stellte sich ein fast überwältigender Eindruck ein.
Das ließ sich sogar noch steigern, musikalisch wie spirituell. Denn César Francks Dextera domini (aus: Trois offertoires) für Chor und Orgel verband die Stimmen in einer harmonischen Kraft und andächtigen Hingabe. Die unnachahmlich französischen Farben waren diesmal der (musikalische) Höhepunkt, der ins Läuten der Kreuzkirche überging.“
2. Juni 2025 | Wolfram Quellmalz | NMB | „Vergangenheit und Zukunft“
