
„Musikalisch geschlossen – mit Offenheit“ | Dresdner Kreuzchor | Vesper am 22.03.2025
27. März 2025
Dresdner Kreuzchor: „Man könnte ja glauben, in der Passionszeit mit ihrem eher gedämpften Charakter halte – wie die vielen Sonntage nach Trinitatis – keine besonderen Feste vor. Doch weit gefehlt! Zumindest den Werken nach konnte man sich am Sonnabend in der Dresdner Kreuzkirche fragen, ob denn schon Ostern oder gar Weihnachten sei.
Und das von Anbeginn! Da erklang der Introitus für Okuli von Agnes Ponizil, im letzten Jahr uraufgeführt. Der von Kreuzkantor Martin Lehmann ins Leben gerufene neue Zyklus beschert nicht nur regelmäßig Uraufführungen (in diesem Jahr von Jan Arvid Prée), sondern auch Wiederaufführungen, wenn für einen Sonn- oder Feiertag bereits ein neuer Introitus geschrieben wurde. Jener von Agnes Ponizil gehört zu den schönsten und sinnlichsten der aktuell drei Jahrgänge. Wie in einem Kanon wogten die Verszeilen zwischen den beiden Teilchören im Ostinato hin und her – zauberhaft!
Dresdner Kreuzchor – Vesper vor dem Sonntag Okuli
Eine weitere Neuerung ist, daß Chordirigent Sebastian Herrmann derzeit einen Teil des Programms übernimmt. Für Gregorio Allegris Miserere mei Deus wechselte er an die Continuoorgel, die er mit Vox- bzw. Tremulantregister – als sei es eine Chorstimme – besonders auf den Kreuzchor einstimmte. Dieser hatte sich neu geteilt. Daß die kleinere Gruppe nun rechts und nicht links stand, war von wenig Belang.
Viel wichtiger war die enorme Wirkung, die der Hauptchor und Orgelbegleitung im Wechsel mit der kleinen A-cappella-Gruppe und den hinten stehenden Männerstimmen für die Gregorianik erzielte. Die Klangpracht, die sich hier entfaltete, hätte wohl kaum jemand erwartet und gab einen Eindruck, wie es im siebzehnten Jahrhundert vielleicht in der Sixtinischen Kapelle in Rom geklungen haben mag, wo Allegri als Komponist und vor allem Chorsänger tätig war. Wer wegen seines Namens also mit besonderen Erwartungen zur Vesper gekommen war, wurde vollends belohnt!
Wie enorm war doch der Unterschied zu Zoltán Kodálys Motette »Jesus und die Krämer«, die nun einen großen, ungeteilten und geschlossenen Chor präsentierte. Was Pfarrer Holger Milkau danach in seinem Wort zum Sonntag aufgriff, hatte wohl jeder eben erlebt: Kodály als Maler, der die Geschichte vom Gleichnis Jesus‘ und der Krämer mit expressiver Gestaltungskraft vortrug, so daß ein jeder (und eine jede) ein Bild vor Augen hatte.

Die Offenheit des Programms reichte aber nicht nur vom siebzehnten bis ins zwanzigste Jahrhundert oder zu Musik der ursprünglich katholischen Konfession, Kreuzorganist Holger Gehring ergänzte sie um den Breslauer Organisten Adolph Friedrich Hesse auf, der zwei Themen aus Carl Heinrich Graun Passionsoratorium »Der Tod Jesu« verarbeitet hatte. Als mehrteiliges Stück sind die Themen darin in einem Präludium enthalten, in dem das bekannte »Oh Haupt voll Blut und Wunden« erst schimmerte, dann als tragende Melodie hervortrat.
Als sei dies noch nicht genug der (Wieder)entdeckungen, fügten die beiden Kruzianer Richard Pomsel (Tenor) und Johann Metan (Baß) Constantin Christian Dedekinds Kleines Geistliches Konzert »Fürwahr, er trug unsre Krankheit« an, womit der Bogen bis ins achtzehnte Jahrhundert gespannt wurde. Die Selbstverständlichkeit und Sicherheit der beiden Kruzianer überzeugte dabei ebenso wie ihr stilvoller Vortrag.
Auch den Abschluß gestaltete der Kreuzchor ungewöhnlich. So bot er mit der Jerusalem Motette »Peace upon you« von Arvo Pärt ohne Bässe einen ungewöhnlich hellen Chorklang, der sich aber wandelte und den Text – typisch für Arvo Pärt – in einen stehenden Ton fließen ließ.
Für Felix Mendelssohns »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Nr. 3 aus »Drei Psalmen« Opus 78) stand eine weitere Motette auf dem Programm, nun aber eine für Solostimmen und achtstimmigen Chor. Nicht nur eine weitere Motette, sondern auch ein weiteres Werk mit einem größeren Erzähltext. Wie stimmig sich die Stimmen verbanden, die Übergänge von Soli und Chor (teilweise mitten in den Zeilen), kann die Besucher der Kreuzkirche zuversichtlich auf die kommenden Wochen blicken lassen.“
23. März 2025 | Wolfram Quellmalz | NMB | „Musikalisch geschlossen – mit Offenheit“
