
„Immer wenn ich fremdgehe, spiele ich Reger“ | Domorganist Sebastian Freitag im Konzert am 15.10.2025
23. Oktober 2025
„Domorganist Sebastian Freitag zu Gast in der Dresdner Kreuzkirche: »Zu Hause«, in der Dresdner Hofkirche, sitzt er an der größten und zuletzt vollendeten Silbermann-Orgel und damit einem der großartigsten Instrumente der Stadt. Die Orgel ist noch einhundertprozentig mechanisch, was man zum Beispiel hört, wenn in den Pausen das Ziehen der Register knallt.
Die Klangfarben sind dagegen unvergleichlich – Domorganist Sebastian Freitag bleibt durchaus nicht musikalisch in der Zeit Gottfried Silbermanns stehen, sondern versucht, auch moderne Stücke auf seiner Orgel zu spielen. Alles geht allerdings nicht – Max Reger zum Beispiel, einen seiner Favoriten, verriet Sebastian Freitag zum Vorgespräch zum Orgelzyklus‘ am Mittwoch, nimmt er deshalb immer ins Programm, wenn er »fremdgehe«, also an moderneren Orgeln eingeladen ist.
Damit stand also ein Programmpunkt an der Jehmlich-Orgel der Kreuzkirche, der den krönenden Abschluß bilden sollte, schon einmal fest. Sebastian Freitag ist auch sonst nicht bei einem im Studium erarbeiteten Repertoire stehengeblieben. Im Gegenteil – gleich zu Beginn spielte er die Zweitaufführung von Giuseppe Sammartinis Concerto G-Dur Opus 9 Nr. 3, dessen Transkription Sebastian Freitags ehemaliger Orgelprofessor Gerhard Weinberger angefertigt hatte. Dieser hatte ihm nicht nur die handschriftliche Übertragung für eine korrekte Übertragung am Computer überlassen, sondern außerdem die »Erstaufführungsrechte«, denn die Premiere hatte ebenfalls Sebastian Freitag gespielt, vor wenigen Tagen im Freiberger Dom.
Domorganist Sebastian Freitag beim Dresdner Orgelzyklus
Sammartini zählt zum Kreis der italienischen Komponisten, die das Concerto grosso gepflegt haben, man erkannte aber zudem eine Verwandtschaft zu Händel – beide Komponisten haben am Londoner King’s Theatre zusammengearbeitet. Der ursprüngliche Gestus mit Solostimmen blieb in den sich wechselnden Registern erhalten, wobei Sebastian Freitag besonders das Andante schön »schweben« ließ. Nach dem luftigen Spiritoso zu Beginn durfte ein flottes Allegro das Concerto mit vielen Bläserstimmen beschließen – keine unpassenden Register, war Sammartini selbst doch Oboist gewesen.
Mit Augustinus Franz Kropfreiter und Toon Hagen bot das Programm zwei zeitgenössische Kompositionen, freilich ist Kropfreiters »Kleine Partita für Orgel« über »Ich wollt, daß ich daheime wär« von 1961 bereits etwas älter als das vom lebenden Komponisten Hagen geschriebenen »Shalom«. Während die Partita harmonisch modern, wenn nicht extravagant mit dem Choral in einer (zweiten) Singstimme spielte und jazzige Elemente einband, offenbarte »Shalom« substantielle Bezüge in der Minimal music, betonte dennoch stärker als dort üblich die tragende Melodiezeile.

Vom Concerto grosso zu Minimal music – ein vielfältiges oder sogar buntes Programm, das noch Bach und Hindemith bot – ein wenig fehlte ein »roter Faden«, obwohl er hier und da auftauchte, weil zum Beispiel manche Stücke auf einen Gesang (Choral oder Volkslied) zurückgingen.
»Von Bach kann ich nicht lassen« – so geht es wohl vielen Organisten. Auch Sebastian Freitag hält Johann Sebastian Bachs Musik für »ewig«, wie er vorab verriet. Daher war schließlich doch eines seiner Werke, Fantasie und Fuge g-Moll (BWV 542), ins Programm gerutscht, das der Domorganist zuletzt im Juli im Rahmen seines Bach-Zyklus‘ in der Hofkirche gespielt hatte.
Die Facetten der Fuge mögen diesmal besonders gefunkelt haben, vor allem stand das Werk in Korrespondenz zu Max Regers Fantasie und Fuge d-Moll (Opus 135b), die mit einem kurzen Präludium-Abschnitt beginnt. Zwar absteigend in der Tonalität, gewinnt Reger an Kraft und steigert sich in phantastische Weiten. Die bei ihm gleich doppelte Fuge strebte – wie bei Bach – auf einen Höhepunkt und angemessenen Schlußpunkt zu.
Ein direkter Vergleich kann ungemein stören, wenn Werke oder Komponisten gegeneinander ausgespielt scheinen. Vielleicht deshalb hatte Sebastian Freitag die dritte Orgelsonate von Paul Hindemith dazwischengesetzt, die alte Volkslieder verarbeitet. Die alten Weisen hat der Komponist harmonisch teils gewagt und modern aufgefaßt, so begann »Ach Gott, wem soll ich’s klagen« mit geradezu orientalischen Harmonien, aus denen sich schließlich aber die Liedzeile herauslöste.“
16. Oktober 2025 | Wolfram Quellmalz | NMB | „Immer wenn ich fremdgehe, spiele ich Reger“
