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Bach: Johannespassion mit dem Dresdner Kreuzchor | „Mehr als Schema »B«“ | 17.04.2025


20. April 2025

„Kein »Schema Bach« gilt daher beim Dresdner Kreuzchor, das hat Kreuzkantor Martin Lehmann in den letzten Jahren bereits mehrfach bewiesen, und sich dennoch auf die Tradition bezogen. Insofern überraschte es nicht, daß er jene Tradition, wonach in der Karwoche Bachs Matthäus-Passion (BWV 244) aufgeführt wird, aufbrach und nun im jährlichen Wechsel die Erzählung nach Johannes (BWV 245) singen lässt.

Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion
Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion in der Kreuzkirche Dresden am 17.04.2025 (c) Martin Jehnichen

Das hohe Niveau des Kreuzchores erlaubt dabei eine große Flexibilität in Ausstattung und Besetzung. Das erlebt man bereits immer wieder in den Kreuzvespern, es gestattet aber auch und gerade – sowie im Verbund mit dem Netzwerk der Sängersolisten und Instrumentalisten –, auf kurzfristige Ausfälle vor wichtigen Aufführungen zu reagieren. In diesem Fall hatte Werner Güra leider absagen müssen, der für den Evangelisten vorgesehen und von manchen Konzertbesuchern mit großer Spannung erwartet worden war. Doch unter den Solisten und Partnern fand sich schnell Ersatz: amarcord-Sänger Wolfram Lattke, der für die Tenorarien geplant war, übernahm Güras Part als Evangelist, für die Arien sprang Tobias Berndt ein.

Bachs Johannes-Passion mit dem Dresdner Kreuzchor

Die Aufführung der Johannes-Passion am Gründonnerstag gestern stand von Beginn im Zeichen einer außerordentlichen Emotionalität. Selbst wenn man das mittlerweile kennt, offenbart sich darin eine große Lebendigkeit eben gerade wegen der Flexibilität und Individualität. Das bezog ausdrücklich die Instrumentalisten, vor allem Musikern der Dresdner Philharmonie sowie einigen Gästen, mit ein. Einmal, weil Martin Lehmann noch die Begleitung variabel einsetzte und zum Beispiel zwischen den Strophen eines Chorals wechselte. »Wer hat dich so geschlagen« begann noch mit der sanften Umschließung der Streicher, für »Ich, ich und meine Sünden« blieb nur ein sehr schlanker Basso continuo, der auf die Streicher verzichtete.

Dass Martin Lehmann großen Wert auf die Choräle legt, schon mit ihnen berühren will, war in den bisherigen Passionen und Oratorien bereits zu erwarten. Insofern überraschte es auch nicht, wie das »Herr« gleich im Eingangschor ansprach, wie die flehentliche Anrede berührte. Auf der anderen Seite gewährte der Ansatz den Instrumentalisten über die Solistenrollen hinaus, die Begleitung unterschiedlich aufzufassen. Juliane Laake zum Beispiel wechselte vom Basso continuo oder aus der kleinen Instrumentalgruppe auch einmal als Solostimme heraus.

Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion
Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion in der Kreuzkirche Dresden am 17.04.2025 (c) Martin Jehnichen

Unter den Sängern ist der Evangelist bei Bach natürlich der wichtigste. Wolfram Lattke formulierte mit seinem hellen Tenor einen makellos verständlichen Text. Daß er gestalterisch dabei zuweilen an die Grenze ging, war durchaus zu begrüßen, verstärkte es doch die emotionale Komponente und hob die Rolle über die eines neutralen Betrachters oder Berichterstatters heraus – wer wollte angesichts des Geschehens der Passion auch »neutral« sein?

Trotzdem war vieles ein wenig überbetont, vor allem im Verlauf, wie das mehrfache »schreien« – viermal kündigt der Evangelist in der Johannes-Passion das Schreien der anderen an (»Da schrieen sie wieder allesamt und sprachen«), doch in der Vorhersage das Schreien jedesmal darzustellen, ließ den Effekt abstumpfen und überforderte die Hörer (emotional). Allerdings ließen die Proben nach dem kurzfristigen Wechsels wohl kaum Zeit, dies auszubalancieren.

Ebenso mühelos wie Wolfram Lattke fand Tobias Hunger in seine neue Rolle. Die Tenorarien gelangen ihm ausnahmslos mit großer Ausdruckskraft und Präsenz. Für noch mehr Schärfe und Kontrastwirkung sorgte Tim Mead. Einen Altus statt einem Alt zu besetzen, ist ohnehin ungewöhnlich, verbindet man den letzteren doch noch viel stärker mit warmen Klangfarben und runder Vokalgestaltung. Doch Tim Mead nutzte das besondere Potential seiner Stimme für außerordentliche Betonungen und fügte der Rolle eine deutliche Spur Brillanz hinzu.

Die beiden Bässe André Morsch (Jesus) und Jonathan Sells (Arien) steigerten sich beide am ersten Abend der Johannes-Passion. Während André Morsch die Verständlichkeit ausbaute und melodischer wurde, gewann Jonathan Sells zunehmend an Milde und Ausdruck. Bei Hanna Herfurtner (Sopran) überwog dagegen die Ausdrucksstarke, was aber gleichzeitig die Verständlichkeit erschwerte.

Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion
Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion in der Kreuzkirche Dresden am 17.04.2025 (c) Martin Jehnichen

Schön ist, daß Martin Lehman den Weg, Soli mit Kruzianern zu besetzen, weitergeht. Mögen es auch meist kleinere Rollen sein, so verlangen sie dennoch Sicherheit und Souveränität, was Friedrich Zweynert (Ancilla), Moritz Rühl (Servus) und Tamino Bruckmoser (Petrus) außerordentlich gut gelang. Nicht unwesentlich zum gelungenen, geschlossenen Eindruck trugen die gewählten Tempi bei, die einerseits lebhaft waren, Übereile aber ebenso vermieden wie unnötige Effektpausen. Zudem konnte sich Martin Lehmann nicht nur auf Konzertmeisterin Heike Janicke und Markus Gundermann (Zweite Violinen) sowie die Flöten Oboen verlassen, erfand mit Fagott (Felix Amrhein) und Orgel (Johanna Lennartz) auch eine variable Continuogruppe. Daß er sie für die Gestaltung nutzte, war um so schöner – in dieser Form könnte die biennale Johannes-Passion in die Tradition aufrücken.“

18. April 2025 | Wolfram Quellmalz | NMB | „Mehr als Schema »B«“

Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion
Dresdner Kreuzchor, J.S. Bach, Johannespassion in der Kreuzkirche Dresden am 17.04.2025 (c) Martin Jehnichen