Die Glocken der Kreuzkirche Dresden
Das Vollgeläut der Kreuzkirche umfasst die Töne D, H, A, G und E. Mit einem Gesamtgewicht von 28,3 Tonnen ist es nach denen des Kölner Doms und des Konstanzer Münsters das drittschwerste Bronzegeläut in Deutschland. Die E-Glocke trägt die Inschrift „Mich und meine Schwestern hat christliche Liebe gestiftet nach dem Brand der Kreuzkirche am 16. Februar 1897.“
Kein Dresden ohne Kreuzkirche, keine Kreuzkirche ohne Dresden; seit 800 Jahren hält diese Verbindung. 2006 feierte die Landeshauptstadt den 800. Jahrestag ihrer Ersterwähnung, 2016 zog die Kreuzkirche nach, die sich an Ort und Stelle gegen alle Unbilden der Geschichte behauptet hat und heute die evangelische Hauptkirche Dresdens ist.
Aufgebaut, umgebaut, abgebrannt, wieder errichtet, so liest sich die Bauchronik des Gotteshauses, dessen Gestalt vielfach verändert wurde und mit ihr die des Turmes. Ab dem 12. Jahrhundert hatte es bereits eine Kapelle, danach eine romanische Basilika und eine gotische Hallenkirche auf demselben Grund gegeben, auf dem die jetzige Kreuzkirche steht. Rundherum war Dresden von einer Kaufmannssiedlung zu einer kleinen mittelalterlichen Stadt bis zur glanzvollen Residenz gewachsen. Die Größenverhältnisse von damals sind mit denen der Gegenwart längst nicht mehr zu vergleichen. Was einst durch schützende Mauern in engen Flächengrenzen gehalten wurde, dehnt sich nun weit ins Umland aus, zu sehen vom Turm der Kreuzkirche, wie sie seit 1792 das Stadtbild prägt.
Nach dem Beschuss im Siebenjährigen Krieg komplett neu errichtet, zeigt sich die Kirchenfassade im Stil des Barock mit klassizistischen Elementen. Vom Aussichtspunkt in 54 Metern Höhe kommt Dresden in der Drauf- und Fernsicht zur Geltung. Dach an Dach reiht sich im Häusermeer aneinander, aus dem markante Spitzen herausragen; ganz nah Rathausturm und Frauenkirche, auch die „Zitronenpresse“ der Kunstakademie, auf Neustädter Seite die Dreikönigskirche und das Gebäude der Staatskanzlei mit der goldenen Krone.
Im Advent rückt der weltberühmte Striezelmarkt fast bis an die Türen der Kreuzkirche heran. Wer mittendrin den Überblick verliert, der kommt hier hinauf und gönnt sich eine Pause auf dem Turm, auf die geschmückten Buden schauend, dicht an dicht, oder sich schlicht erfreuend am Lichterglanz, dem Weihnachtsbaum, der sich drehenden Pyramide. 259 Stufen wollen erklommen werden, um sich auf dem Rundgang wiederzufinden. Ein gutes Training, ab und zu. Für den Türmer, der bis 1950 hier oben wohnte, gehörte das sicher zum Tagwerk. Heutzutage ein nahezu ausgestorbener Beruf, war er früher unverzichtbar. Der Türmer warnte vor Wetter und Gefahren für die Stadt. Diese drohten auch nach dem Neubau der Kirche, selbst wenn deren massive Außenmauern noch immer Bestand haben.
Am 16. Februar 1897 zerstörte ein Brand das Kirchenschiff vollständig und griff zugleich auf den Turm über, wo der hölzerne Glockenstuhl den Flammen zum Opfer fiel.
Für die vier insgesamt zehn Tonnen schweren Glocken, die darin hingen, gab es keine Rettung, sie zerbrachen beim Aufprall. Die Arbeiten an der Kirche begannen erneut, diesmal im Inneren. Das Kirchenschiff wurde im Jugendstil neu aufgebaut. Für den Turm schrieb der Kirchenvorstand schnell ein neues, wieder vierstimmiges Geläut aus. Den Zuschlag erhielt die renommierte Glockengießerwerkstatt Franz Schilling aus Apolda. Statt der bestellten vier Bronzeglocken bot Schilling der Gemeinde jedoch noch eine fünfte, sehr viel größere an. Deren Klang sorgte für derartige Begeisterung, dass der Auftrag schließlich um die mächtige, allein 11,5 Tonnen schwere E-Glocke erweitert wurde. Ihre Schwestern bringen zusammen noch einmal 16,8 Tonnen Gewicht mit. Um diese regelrechten Kolosse zu tragen, wurde ein 13,50 Meter hoher Glockenstuhl aus Stahl eingebaut und mit den Glocken am 6. März 1900 feierlich geweiht.
Beim Blick auf genau diese Glocken ist heute der Turmaufstieg zur Hälfte geschafft. Von außen nicht sichtbar, belohnen sie die Anstrengung bis hierher, wo sie seit nun schon mehr als 116 Jahren ununterbrochen hängen. Im Unterschied zu vielen anderen in der Stadt entgingen sie dem Schicksal, im Zweiten Weltkrieg für die Waffenproduktion eingeschmolzen zu werden. Sie abzunehmen, wäre allein wegen ihres enormen Gewichtes wohl auch eine gewaltige Herausforderung gewesen. Als die Kirche während der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 ausbrannte, wurde der Turm abermals verschont, um ihn herum blieb eine Trümmerwüste zurück.
In einem ergreifenden Gedenken an diese Zerstörung und zur immerwährenden Mahnung läuten alle Kirchenglocken der Innenstadt jedes Jahr am Abend des 13. Februars. Den Anfang macht stets die E-Glocke der Kreuzkirche um 21.40 Uhr, bevor fünf Minuten später alle weiteren Glocken der anderen Kirchen dazu kommen. Der Klang der Kreuzkirchenglocken ist eine feste Größe für die Dresdner, nicht nur als Ruf zum Gottesdienst, sondern auch, weil er für ein Gefühl von Heimat steht – besonders dann, wenn alle fünf gemeinsam läuten, zu Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten und Weihnachten.
Zwischen 2009 und 2011 fehlten diese vertrauten Töne, schmerzlich vermisst von Gemeinde und Bevölkerung, denn in der Glockenstube waren Risse festgestellt worden und die Glocken verstummten aus Gründen der Sicherheit. Große Veränderungen für das bedeutende Geläut kündigten sich an, ein Holzglockenstuhl sollte die historische Konstruktion aus Stahl ersetzen. Als der Einbau schon so gut wie beschlossen war, brachte eine letzte Untersuchung doch noch die Wende zugunsten des originalen Stahlglockenstuhles, der saniert und damit erhalten werden konnte.
Mit dem Evangelischen Kirchentag im Juni 2011 war es geschafft, die Glocken durften wieder erklingen. Den Turm hatten sie selbst während der zweijährigen Zwangspause nicht verlassen. Aufgebaut, umgebaut, abgebrannt, wiedererrichtet und nun, dieses Kapitel ergänzt die Chronik seit 1995, saniert. Hinter diese bewegte Kirchenhistorie, zu der natürlich noch viele, viele Episoden abseits des Baugeschehens gehören, setzt das Jubiläumsjahr „800 Jahre Kreuzkirche – Kreuzchor – Kreuzgymnasium“ ein Ausrufezeichen, aber längst keinen Schlusspunkt.