Weihnachtsoratorium mit dem Dresdner Kreuzchor 2023
18. Dezember 2023
„Das Fest kann kommen
Mit Bachs Weihnachtsoratorium zog der Dresdner Kreuzchor wieder Tausende in die Kirche.
Gleich an drei Tagen hintereinander hat der Dresdner Kreuzchor am Wochenende das Weihnachtsoratorium, genauer dessen Kantaten 1 bis 3, aufgeführt. Man ist höchste Qualität gewöhnt, erwartete sie regelrecht. Und auch, wenn die Aufführung am Sonnabend in der Kreuzkirche eine gute Interpretation des Werkes war, konnte man spüren, dass aktuell eine anstrengende Zeit für den berühmten Knabenchor und seinen Leiter ist. Zwei große Tourneen, Brahms-Requiem, Weihnachtsliederabend und die erste Aufführung des großen Werkes sowie die Proben für die bevorstehenden Weihnachtstage mit Stadionkonzert, Metten und Vespern lagen bereits hinter dem Chor. Vielleicht erklärt das, dass der Chor und die Interpretation des nicht nur beliebten, sondern auch sehr bekannten Werkes deutlich weniger präsent und ausgewogen als erwartet wirkten.
Bachs Festkomposition entfaltet das Geheimnis der Weihnacht Stück für Stück, führt es dem Hörer vor Ohren und betrachtet es. Das ist musikalische Verkündigung, die die Herzen glaubender Hörer bewegt. Sie ist Teil des kulturellen Erbes, liebgewordene Tradition, die für manchen, unabhängig vom Glauben, zum Fest gehört wie Stollen, Weihnachtsstern und Lichterbaum. Kreuzchor und Philharmonie sind exzellente Klangkörper, für die dieses Werk
zum festen Aufführungskanon gehört. All das bewegte und begeisterte das Publikum im vollen Kirchenraum.
Höhepunkte der samstäglichen Aufführung waren zweifellos die beiden Gesangssolisten. Patrick Grahl und Matthias Winckhler bildeten mit ihren kultivierten, in allen Lagen tragfähigen Stimmen und ihrer gut verständlichen, wohlüberlegten Interpretation der Texte immer wieder Höhepunkte der Aufführung. Grahl singt den Evangelisten mit scheinbar müheloser Selbstverständlichkeit und lässt die Koloraturen bei der „Frohe Hirten“-Arie zu einem faszinierenden Moment atemberaubender, adventlicher Eile, das Kind zu sehen, werden. An seiner Seite spielte Marianna Zolnacz eindrucksvoll die Solo-Flöte. Unter den hervorragenden Solo-Instrumentalisten glänzte auch Konzertmeister Wolfgang Hentrich. Sein seelenvolles Solo machte die Altarie „Schließe mein Herz“ mit Edith Maria Breuer zum bewegenden Ereignis. Die Sopransoli sang Miriam Alexandra.
„Großer Herr und starker König“ erzählt ja, anders als die Titelzeile vermuten lässt, nicht von machtvoller Stärke, sondern von ihrer Alternative, die der Gottessohn, arm und ohnmächtig, auf Hilfe angewiesen in die Welt trägt. Die Arie war echter Höhepunkt des Konzertes. Matthias Winckhler, klangvoll und scheinbar ohne Registergrenzen, ließ die Worte in ihrer tiefen Bedeutung nachvollziehbar aufklingen. Prächtig begleitet wurde er von der obligaten Trompete und dem Orchester, das Kreuzkantor Martin Lehmann hier wie fein ziseliert, sehr ausdrucksvoll begleiten ließ. Bachs Weihnachtsoratorium ist verklungen, für viele Zuhörer kann jetzt das Fest beginnen. Die Jungen vom Kreuzchor haben noch ein großes Pensum vor sich.“
Jens Daniel Schubert | 18.12.2023 | Das Fest kann kommen | SZ | Feuilleton Seite 23
Weihnachtsoratorium mit dem Dresdner Kreuzchor 2023
„Frische und festlicher Glanz
Bachs Weihnachtsoratorium mit dem Dresdner Kreuzchor
Seit einem reichlichen Jahr ist Martin Lehmann nun als 29. Evangelischer Kreuzkantor im Amt und man kann nur immer wieder anerkennen, dass und wie er den Dresdner Kreuzchor nach der großen Corona-Krise, die die kontinuierliche Arbeit mit dem Knabenchor mehr als nur ein wenig behinderte, auf dieses phänomenale stimmliche und ausdrucksmäßige Niveau gebracht hat.
Auch in diesem 1. Teil des Bach’schen Weihnachtsoratoriums wirkte das Klangbild der Kruzianer (groß besetzt) absolut makellos und in sich geschlossen, fein differenziert (Eingangschor), von plausiblen, dynamischen und ausdrucksmäßigen Nuancen geprägt. Unverbrauchte, nicht ermüdende Frische der Stimmen zum einen und dazu festlicher Glanz in aller Üppigkeit bleiben in Erinnerung.
Lehmann wirkte gelöst und ließ jede Kantate ohne große Einschnitte fließen und atmen, was deren inhaltliche Ausformung nur umso nachvollziehbarer machte. Nicht nur die musikalische Seite war für ihn von riesiger Bedeutung, nein, auf die Botschaft kam es an. Es schien, als hätten der Kreuzkantor (und mit ihm natürlich auch der Dresdner Kreuzchor) jeden einzelnen Choral neu für sich entdeckt und beleuchtet. Man denke beispielsweise an den vor inniger Freude fast berstenden Satz „Brich an, o schönes Morgenlicht“. Die Koloraturen und das reichhaltige Figurenwerk in „Ehre sei Gott in der Höhe“ perlten nur so.
Sehr viel Wert legte Martin Lehmann auf detailgenaue Präzision und Lebendigkeit in den Orchesterstimmen, womit er bei der Dresdner Philharmonie auf Gegenliebe stieß, nicht nur insgesamt an allen Pulten und bei der vortrefflichen Continuogruppe um Kreuzorganist Holger Gehring sowie den Lautenisten Stephan Maass und die Organistin Johanna Lennartz. Denn da war ja auch noch die Brillanz und Einfühlsamkeit der Instrumentalsolisten. So schmückten Johannes Pfeiffer und Jens Prasse mit ihren Oboen das Duett „Herr, dein Mitleid“, ließ Christian Höcherl in die kraftvolle Bassarie „Großer Herr und starker König“ wahrhaften Trompetenglanz einfließen. Und auf welch zauberhafte Arabesken sich die Flötistin Marianna Zolnacz in der Hirtenarie so ganz selbstverständlich, leicht und locker verstand – toll! Man könnte die Reihe fortsetzen.
Überhaupt war diese reich verzierte Arie ein besonderer Höhepunkt des Abends, nicht nur wegen der Flötistin, sondern ganz gewiss auch wegen Patrick Grahl. Sein sehr heller, biegsamer und kompromisslos auf Ausdruck bedachter Tenor macht ihn zu einem eindrucksvollen Vertreter seines Fachs, einer, bei dem man sich auf jedes Hörerlebnis freuen und den weiteren Werdegang gespannt sein kann. Grahl machte eine alte Binsenweisheit für die Gestaltung von Evangelistenworten sehr deutlich: Will man überzeugen, muss man neben den stimmlichen Voraussetzungen auch die Partie sehr intensiv verinnerlicht haben.
Dieses Level erreichten die anderen Solisten nur in Ansätzen. Mit den drei Altarien hatte Edith Maria Breuer mehr Mühe als gedacht. Eine schöne, klare Stimme brachte die Sopranistin Miriam Alexandra für ihren kurzen Part mit. Und der Bassist Matthias Winckhler zeichnete sich vor allem durch Noblesse aus, nicht durch größeren gestalterischen Tiefgang.“
Mareile Hanns | 18.12.2023 | Frische und Glanz | DNN | Kultur Seite 9